Ordensleben 2.0 – 800 Jahre Bullierte Regel

Unter diesem Motto feierten Brüder der Deutschen Franziskanerprovinz vom 29. Mai bis 1. Juni 2023 in Vierzehnheiligen ein nachpfingstliches Mattenkapitel.

„Alles ge-Regel-t?“, fragte die Zeitschrift FRANZISKANER in ihrer ersten Ausgabe des Jahres 2023. Wieviel Regelung braucht unser Leben? „Leben und Regel der Minderen Brüder ist dieses…“, so setzt die Bullierte Ordensregel der Minderen Brüder von 1223 an. Wie gehen wir um mit dem Grunddokument unseres Ordens, so die Frage anlässlich des 800jährigen Jubiläums? Mit den Aspekten „Regel entdecken“, „Regel aneignen“ und „Regel fortschreiben“ beschäftigten sich 47 Brüder der Deutschen Franziskanerprovinz bei ihrem Mattenkapitel in Vierzehnheiligen.

Verstehen wir die Ordensregel im Sinne von Franziskus als ein spirituelles Dokument, so ist sie mehr Nach-Schrift denn Vor-schrift. Sie ist Reflexion des gelebten Lebens und der Erfahrungen, die die Brüder machten in der forma vivendi, in ihrer Lebensform, das Evangelium in die Welt zu tragen.

Auf den Musikbereich übertragen: Sie ist eine Partitur, bei deren musikalischer Umsetzung jeder Interpret eine eigene Klangfarbe entwickelt.

Oder ein anderes Bild: Sie ist ein Haus, deren Kapitel einzelne Räume gestalten. Manche dieser Räume werden heute in ihrer Ausstattung nicht mehr gebraucht. Andere Räume sind weiter wichtig, brauchen aber eine Aktualisierung (z.B. das Reitverbot). Andere Räume (wie der Medienbereich) sind völlig neu dazugekommen, die erst ausgestattet werden müssen.

Im Gegensatz zu den damals bereits vorhandenen Regeln wie der Benedikt- oder der Augustinusregel ist die Franziskusregel eine Ordensregel für die Itineranz, für das Unterwegssein. Ziel ist es, als Person selbst zur Regel zu werden und dem Anderen zum Regelbuch, in dem er durch die gelebte Praxis lesen kann. Gemeinschaftliches Leben braucht Strukturen. Eine Regel sollte kein Korsett sein, in dem ich nicht atmen kann, sondern ein Raum der Freiheit, der das Verbindende und das Verbindliche beschreibt. Die einzelnen Kapitel noch einmal diesbezüglich unter die Lupe zu nehmen, zu hinterfragen und zu aktualisieren, war für die Teilnehmenden ein spannender und inspirierender Prozess.

Denn durch welche reale und welche virtuelle Welt ziehen wir heute? In welcher Sprache erreichen wir die Menschen von heute? Mit welchen Haltungen sind wir unterwegs und in welchen Handlungen drücken sie sich aus? Die Frage: Wäre Franziskus in diesem oder jenem Punkt heute eher tolerant oder eher rigide, lässt sich an verschiedenen Regelungsbereichen stellen. Eine Kleingruppe brachte ein paar Begriffe aus der Wirtschaft wie „Compliance“ ein, um aus einer anderen säkularen Perspektive die Regel zu beleuchten und unsere „Corporate Identity“ zu erschließen.

Die Vorbereitungsgruppe hatte bewusst darauf verzichtet, Referenten einzuladen, sondern ganz auf die Kompetenz der Anwesenden gesetzt. Der lebendige Austausch bestätigte diesen Ansatz und motivierte dazu, die Regel öfter einmal aus dem Regal zu holen und sich ihre Aussagen durch Kopf und Herz gehen zu lassen.

Der abendliche Film „Schwestern“ zeigte, dass eine Entscheidung, im Orden den Fußspuren Christi nachzufolgen, nicht nur auf Gegenliebe stößt.

Hauptintention eines Mattenkapitels ist die brüderliche Begegnung und der Austausch. Nachdem Corona solche Treffen über drei Jahre unmöglich machte, war die Freude groß, sich in größerem Rahmen leibhaftig begegnen zu können.

Angesichts des wunderbaren Wetters trug die Fahrt nach Bamberg zur positiven Stimmung das ihre bei. In drei Führungsmöglichkeiten wurden den Brüdern die Bamberger Unterwelt, der Dom oder die Elisabeth-Fenster von Markus Lüpertz in der Elisabeth-Kirche (vgl. Fotos) nahegebracht.

Ein Besuch auf einem der Bamberger Keller dürfte nicht fehlen und rundete den Tag.

Dieser Kurzbericht mag anregen, selbst einmal zur je eigenen Ordensregel zu greifen und sie neu zu verlebendigen.

Die INFAG tut dies durch das Angebot „Regel online“ oder dem Seminar „Treffen mit/für/von franziskanisch engagierten Menschen“ zum Thema „Regeln: Pflichterfüllung oder Coaching/Ausrichtung für mich?“ im September 2023 in Salzkotten. Die franziskanische Bewegung Vivere veranstaltet am 16. und 17. Juni 2023 einen Online-Studientag zum Thema: „8 von 800: Altbewährte franziskanische Werte neu erlebt, belebt und gelebt“.

Br. Stefan Federbusch